Demenz und Coronavirus

Unser aller Alltag hat sich mit Covid-19 verändert. Nähe und Berührungen sind für alle Menschen wichtig. Ohne diese Faktoren verkümmern wir seelisch. Ängste keimen auf, Stressoren wachsen täglich. Es ist nicht nur der Verlust von Gewohnheiten und liebgewonnenen Ritualen, die Gesellschaft geht durch die entstandene Furcht und Verunsicherung auf Distanz. Wörtlich.

Manche Menschen können nicht einmal mehr grüßen oder freundlich sein, sobald sie die Maske aufgesetzt haben. Aggressionen nehmen zu. Der ungewohnte und ungewollte neue Alltag bringt uns an die Belastungsgrenze.

 

Durch die Isolation unserer Senioren - um sie zu schützen - richten wir nicht wieder gut zu machenden Schaden an. Seelisch. Es gibt ohnehin schon zuviel isolierte Senioren, deren familiäres Umfeld aus welchen Gründen auch immer weg gebrochen ist. Die alleine leben und nur noch mit ihren 4 Wänden reden.

 

Für einen an Demenz erkrankten Menschen bedeutet diese Isolation: Wegfall bei der Teilhabe am Alltag, Wegfall der Aktivierungsprogramme, Wegfall der wichtigen persönlichen Kontakte mit Angehörigen oder Betreuungspersonen.

Das fördert den geistigen Abbau in hohem Tempo.

Von einer Pflegekraft habe ich die Information, dass ein an Demenz erkrankter Patient den vorgeschlagenen Spaziergang in kürzester Zeit beendet hat, weil die maskentragenden Menschen ihm unheimlich waren und ihn verängstigt haben. Das jeder Abstand von ihm nahm konnte er überhaupt nicht verstehen und suchte den "Fehler" bei sich.

Die meisten hochbetagten Menschen haben keine Angst vor dem Tod. Sie haben sich vorbereitet und wollen die verbleibende Zeit sinnvoll und genußvoll mit freudvollen Dingen ausfüllen. Ein an Demenz erkrankter Mensch hat häufig auch keine Angst vor dem Tod. Aber er hat Angst vor dem Alleinsein, vor dem Vergessen-werden! Die Isolation weckt Gefühle des Nicht-mehr-gewollt-sein, Unerwünscht-sein, Abgeschoben-sein.

Warum dieses Vorgehen mit den Betroffenen jetzt so durchgeführt wird, können die meisten von ihnen ja gar nicht verstehen. Je nach Demenzstadium ist es auch nicht mehr erklärbar. Wenn auch die logische Nachvollziehbarkeit nicht mehr vorhanden ist, so wecken diese veränderten Bedingungen doch Gefühle. Diese neue Stimmung um sie herum nehmen Betroffene sehr wohl war. Und es vermittelt ihnen alles andere als Sicherheit und Geborgenheit.

Die Auswirkungen sind fatal und vor allem - nicht reversibel. Was jetzt in dieser Zeit an Fähigkeiten abgebaut wird, weil jegliche Aktivität und Motivation fehlt, ist unwiederbringlich weg.

Ich arbeite selber in einem Beschäftigungsprogramm ehrenamtlich als Demenzpflegehelfer. Unser wöchentliches Treffen war für die Betroffenen ein Highlight. Durch die gedächtnis- und aktivitätsfördernden Beschäftigungen und die persönlichen Kontakte wurden sie geistig und körperlich mobilisiert und motiviert. Jetzt sind sie zu Hause eingesperrt. Ich wage mir nicht vorzustellen, was das mit ihnen macht.

Wie viele in meinem Umfeld wünsche ich mir wieder die Möglichkeiten, gemeinsam etwas in unserer Gesellschaft zu bewegen - aber nicht online.